Das Interview führte ich mit Morten Molge, Physiotherapeut der A-Junioren Bundesliga-Mannschaft von Holstein Kiel.
Hallo Morten, vielen Dank dafür, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Morten, erzähl‘ uns mal ein wenig über dich, was machst du beruflich?
Ich bin gerade 24 Jahre alt geworden und habe 2018 meine Ausbildung zum Physiotherapeuten plus parallel dazu das Studium begonnen. Im September 2021 habe ich dann mein Staatsexamen Physiotherapie abgelegt. Gerade befinde ich mich im letzten Pflichtsemester meines Bachelor of Science in Physiotherapie. Nach der Ausbildung habe ich direkt mit der Weiterbildung zum Sportphysiotherapeuten begonnen, die ich dann im Juni diesen Jahres abgeschlossen habe. Jetzt gerade arbeite ich in einer Praxis, die eine Kooperation mit dem THW Kiel (Abteilung Handball) und Holstein Kiel (Fußball) hat. Wir betreuen also viele junge Sportler und auch Profi-Sportler. Parallel zum ersten Lehrjahr meiner Ausbildung habe ich auch schon angefangen, eine Fußball-Herrenmannschaft aus dem Herrenbereich zu betreuen. Seit 2019 bin ich nun der zuständige Physiotherapeut der A-Junioren Bundesliga-Mannschaft von Holstein Kiel. Mit ihnen arbeite ich jetzt schon die dritte Saison zusammen.
Hat die Sportpsychologie eine Rolle in deiner Ausbildung gespielt?
In der Ausbildung hat die Sportpsychologie keine Rolle gespielt. Es gab zwar das Fach Psychologie, Pädagogik und Soziologie, aber im Rahmen Sportpsychologie haben wir da gar nichts gemacht. In der sportphysiotherapeutischen Weiterbildung wurde das Thema dann kurz mal angerissen.
Erinnerst du dich, was ihr da besprochen habt?
Mentaltraining, Motivation. Es war so kurz, dass ich mich jetzt nicht mal mehr richtig daran erinnere. Es hieß damals auch, dass das nicht unsere Aufgabe sei. Es wurde immer darauf verwiesen, dass vor allem für Kaderathleten, Nationalkader, Olympiateams… eigentlich immer ein Sportpsychologe zur Verfügung steht.
Und im Studium, hast du da etwas zum Thema Sportpsychologie gelernt?
Psychologie war da ein Modul, zusammen mit Kommunikation. Aber auch da war die Sportpsychologie kein Thema.
Was habt ihr da behandelt?
Kommunikation, aktives Zuhören und gewaltfreie Kommunikation.
Du hast gerade schon das Zuhören erwähnt. Wie ist das bei dir als Physiotherapeut, hast du das Gefühl, deine Athleten öffnen sich dir gegenüber und erzählen dir Dinge? Du hast wahrscheinlich auch viele Verletzte, das kann ja auch sehr herausfordernd für den Kopf des Athleten sein. Redest du mit ihnen darüber?
Ich grundsätzlich ja. Vor allem in der Form, dass ich auf unsere Ansprechpartnerin dafür im Haus verweise. Ich will ihnen auch zu verstehen geben, dass sie sich auch wegen einer vermeintlich banalen Sache an sie wenden können. Das betone ich auch immer. „Du musst nicht depressiv sein, um von einer Psychologin beraten zu werden, das bedeutet nicht, dass du schwach bist.“ Mittlerweile habe ich auch ein Gespür dafür entwickelt, wer es meiner Meinung nach nötig hätte. Da verweise ich dann nochmal mit Nachdruck an die Psychologin. Ganz wichtig für mich: Ich empfehle das, aber ich sage ihnen auch, dass sie mir nicht Bescheid sagen müssen, ob sie dann wirklich zu ihr gehen oder nicht. Es sei denn, es handelt sich um schwerwiegende Verletzungen. Wir hatten jetzt zu Beginn mehrere schwerere Verletzungen mit langer Reha-Dauer und da habe ich dann schon auch der Psychologin gesagt, dass es gut wäre, wenn sie sich mit Spieler XY mal unterhält. Ob das dann aber letzten Endes geschieht, weiß ich nicht. Aber um den Zeitpunkt für den return-to-sport festzustellen, mache ich auch immer eine psychologische Abfrage, also wie fühlst du dich im Hinblick auf den Wiedereinstieg, Wiederverletzung. Wenn ich da dann Auffälligkeiten feststelle, dann kommt die erneute Bitte darum, dass sie zu unserer Psychologin gehen. Denn vorher lasse ich die nicht aufs Spielfeld, bevor sie nicht psychisch ready sind.
Und diese Einschätzung nimmst du vor?
Je nach Verletzung gibt es standardisierte Fragebögen, die ich verwende und auswerte. Bei der Interpretation halte ich mich dann an die Richtlinien. Und was ich diese Saison einführe: Die Verpflichtung zum psychologischen Gespräch. Und das wird auch so mit dem Trainerteam kommuniziert.
Wie genau wird das umgesetzt?
Wir sind kurz davor, dass die ersten Jungs sich wieder zurückgekämpft haben. Es wird so, dass die Psychologin die Fragebögen mit ihnen durchführt und bespricht.
Ok, sie muss nun also ihr Go geben.
Richtig, so hast du einen Arzt, der das Go gibt, mich auf physiotherapeutischer Ebene und sie auf psychologischer Ebene. Aber auch Spielern, bei denen ich beobachte, dass sie immer wieder sehr nervös sind vor Spielen, lege ich nahe, das sportpsychologische Angebot zu nutzen.
Du selbst möchtest dich ja auch in dem Bereich Sportpsychologie entwickeln, wie genau gehst du dieses Thema an?
Ich werde ab Oktober ein halbjähriges Hochschulzertifikat „Sportpsychologie“ an der IST-Hochschule absolvieren. Da ich sowieso ein Wahlmodul für mein Bachelorstudium brauche, wollte ich etwas wählen, was mir einen Mehrwert bringt und ich meine Kompetenzen erweitern kann. Ich war auch oft selbst verletzt inklusive Knie-Operationen, also persönlich bin ich überzeugt von dem Mehrwert der Sportpsychologie.
Was würdest du sagen, wie ist das Standing der Sportpsychologie in Deutschland?
Physiotherapie und Psychologie haben beide einen verhältnismäßig geringen Stellenwert. Ich bin klar der Auffassung, dass ein Athlet, der gesunden und verletzungsfrei bleibt, langfristig der bessere Athlet ist verglichen mit einem, der vielleicht 6 Monate auf 120% fährt, aber dann verletzt ist und wieder ausfällt. Aber wenn es nach Personal und investierter Zeit geht, ist beides viel zu wenig präsent. Ich persönlich fände es super, wenn jede Mannschaft beispielsweise 10 Stunden in der Woche an sportpsychologischer Betreuung bekommt. Aber man muss auch sagen, dass man nicht genau mitbekommt, was die einzelnen Leute noch on top machen, zum Beispiel privates Engagement oder schulische Sprechstunden. Das steht und fällt aber auch mit dem Trainerteam. Wenn die Trainer offen sind und die Einbindung von sportpsychologischen Maßnahmen unterstützen, dann schaffen sie auch die Strukturen und die Zeit dafür, das durchzuführen. Wenn das vorhanden ist, hast du sehr viel Potenzial. Diese Saison haben wir ein sehr junges Trainerteam, welches auch den Mehrwert sieht und dementsprechend die Zeit dafür einräumt. Sei es zum Beispiel, jetzt zu Beginn der Saison einen Teamvertrag mit Werten und Zielen der Mannschaft aufzustellen oder auch Teambuilding-Maßnahmen.
Was würdest du sagen, welches sind die Top 3 Themen, die Athleten deiner Meinung nach am meisten beschäftigen?
Auf jeden Fall das Verhältnis Athlet-Trainer. Also es gibt immer welche, die besser mit dem Trainer zurechtkommen als andere. Das kann dann auch ausschlaggebend für den Verlauf der eigenen Karriere sein. Das ist ein großes Thema. Das zweite ist der Spagat zwischen dem Sport selbst und dem Leben außerhalb des Sports. Gerade in diesem Alter: feiern gehen wollen aber dann Spiel am nächsten Tag haben; sie wollen Profis werden aber auch ein normales Leben führen. Aber das geht einfach nicht in dem Bereich. Das dritte Thema ist meiner Meinung nach Leistungsdruck. Von sich selbst, vom Verein, von Beratern, den Eltern, und den Trainern.
Ich danke dir für deine Offenheit und deine Zeit, Morten. Ich wünsche dir alles Gute für deine Zukunft.
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